Widersprüchliche Corona-Maßnahmen nach „sehr, sehr langem“ Nachdenken

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Die Deutschen dürfen weiter an Ostern nach Mallorca fliegen, aber im Inland keinen Urlaub machen

Etwa zwölf Stunden haben sich die Regierungschefs der Länder mit Bundeskanzlerin Merkel zusammengesetzt und auf neue Corona-Regeln angesichts einer steigender 7-Tage-Inzidenz geeinigt. Das Robert-Koch-Institut (RKI) hat am Dienstag gemeldet, dass in den vergangenen sieben Tagen pro 100.000 Einwohner im Bundesdurchschnitt nun 108 Neuinfektionen registriert wurden, Tendenz steigend. Man habe es mit einer ernsten Lage mit exponentiell steigenden Fallzahlen zu tun, erklärte Bundeskanzlerin Merkel in der Nacht. Das führe zu einer steigenden Belastung der Intensivstationen, da sich auch aggressiveren Coronavirus-Varianten verbreiteten, die „deutlich tödlicher, deutlich infektiöser“ sind. Ihr Resümee: „Wir haben eine neue Pandemie.“

In der längsten Sitzung von Bund und Ländern habe man „sehr, sehr lange und neu gedacht“, fügte Merkel an. An den Ergebnissen kann man das allerdings nicht feststellen. Denn verkündet wurde, dass es in Deutschland über Ostern einen verschärften Lockdown geben soll. Der Gründonnerstag und der Karsamstag sollen als Ruhetage definiert werden. Vom 1. bis zum 5. April soll es weitgehende Kontaktbeschränkungen geben. An Ostersamstag darf ausschließlich der Lebensmittel-Einzelhandel öffnen. „Es gilt damit an fünf zusammenhängenden Tagen das Prinzip #WirBleibenZuHause“, heißt es in dem Beschluss von Bund und Ländern.

Ansammlungen im öffentlichen Raum werden in dieser Zeit generell untersagt. Wo die Außengastronomie wieder geöffnet ist, muss sie in diesen fünf Tagen wieder geschlossen werden. Kirchen und Religionsgemeinschaft werden gebeten, an Ostern nur Online-Angebote für die Gläubigen zu machen. Zusammenkünfte sollen auf den eigenen Hausstand und einen weiteren auf maximal fünf Personen beschränkt werden. Insgesamt sollen die ohnehin schon seit drei Monaten geltenden Beschränkungen um weitere drei Wochen bis zum 18. April verlängert werden. Am 12. April werde dann erneut beraten.

Auch die „Notbremse“ soll in der Zukunft besser greifen, die bei Inzidenz von mehr als 100 konsequent umgesetzt werden soll. Schon jetzt befinden sich mit zehn Bundesländern die Mehrzahl über dieser Marke. Dort sollen Öffnungsschritte zurückgenommen werden. Die Landkreise sollen weitere Maßnahmen ergreifen, Ausgangsbeschränkungen, verschärfte Kontaktbeschränkungen und die Pflicht zu tagesaktuellen Schnelltests in Bereichen, in denen das Abstandhalten oder konsequente Maskentragen erschwert sind, werden als Möglichkeiten genannt.

Da Urlaubsreisen, insbesondere nach Mallorca, kürzlich für großes Aufsehen gesorgt hatte, wurde auch in dieser Frage leicht nachgelegt. An der widersprüchlichsten Maßnahme hat sich im Kern aber nichts geändert. Ein Urlaub auf den Balearen ist weiterhin möglich, während eine Fahrt an die Ostsee, in den Schwarzwald oder in den Allgäu weiterhin nicht geht. Hotels und andere Beherbergungsbetriebe bleiben geschlossen. Reisen innerhalb Deutschlands sind auch dann nicht möglich, wenn es sich um einen Urlaub in Eigenregie mit Selbstversorgung in der eigenen Ferienwohnung, im Wohnwagen oder in Wohnmobilen handelt. Obwohl darauf Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz gedrängt hatten, findet sich darüber in den Beschlüssen nichts.

„Moderate Formen von Urlaubsmöglichkeiten“ müssten möglich sein, hatte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) gefordert. Der konnte nur „den Kopf darüber schütteln“, dass bisher nicht einmal beim Rückflug von den Balearen eine Testpflicht bestanden hat. Sie war nur vor dem Abflug nach Spanien nötig, wurde nun aber offiziell auch für die Rückreise eingeführt. Das ist, wo wie sie angelegt ist, in der Praxis aber kaum kontrollierbar. Denn anders als bei der Einreise nach Spanien, wo ein PCR-Testergebnis verlangt wird, das nicht älter als 72 Stunden ist, kann der Test nach der Rückreise auch in Deutschland gemacht werden. An der Möglichkeit, den verschärften „Kontaktbeschränkungen“ und den „Ruhetagen“ durch eine Flucht nach Mallorca zu entkommen, hat sich also praktisch nichts geändert. Der Anreiz, sich auf die Balearen über Ostern abzusetzen, wurde allerdings weiter vergrößert.

Wird Mallorca zum zweiten Ischgl?

Die Maßnahmen der Bundesregierung kommen spät und sind so angelegt, dass sie praktisch keine Auswirkung auf den „Ansturm auf Mallorca“ haben werden, der in Spanien schon festgestellt wird. Die Appelle an Bürger, auf Reisen zu verzichten, und an die Fluglinien, ihre Angebote nicht auszuweiten, gehen ins Leere. Die Airlines haben angesichts der starken Nachfrage ihr Angebot längst massiv ausgeweitet. Eurowings hatte kürzlich schon von „einer bisher nicht gekannten Dynamik“ bei den Buchungen gesprochen und hatte angekündigt, kurzfristig 300 zusätzliche Flüge um Ostern herum auflegen. Auch die Lufthansa hatte erklärt, das Angebot verdoppeln zu wollen.

Es ist unverständlich, dass die Maßnahmen so getroffen wurden, da auch in dem Beschluss darauf hingewiesen wird, dass „insbesondere bei beliebten Urlaubszielen“ wie Mallorca „damit zu rechnen ist, dass Urlauber aus zahlreichen Ländern zusammentreffen und sich Covid-19 Varianten leicht verbreiten können“. Eine Konsequenz wird daraus nicht gezogen. Man fragt sich insgesamt, was auf der Sitzung „sehr, sehr lange und neu gedacht“ wurde.

Experten haben ohnehin längst davor gewarnt, dass sich hier ein Fehler aus dem vergangenen Sommer wiederholen könnte, vor allem deshalb, weil sich die aggressivere britische Variante in ganz Europa ausbreitet. Die ist im spanischen Staat längst vorherrschend. „Wir laufen Gefahr, mit Mallorca ein zweites Ischgl zu produzieren“, warnte zum Beispiel der Reiseforscher Jürgen Schmude. () Für den der Professor für Tourismuswirtschaft und Nachhaltigkeit an der Universität München ist dieser „Ansturm eine Katastrophe“.

Schmude befürchtet ein erneutes Ansteigen der Fallzahlen nach Ostern. „Es würde mich nicht wundern, wenn die Insel in drei Wochen wieder in einen harten Lockdown muss.“ Man wisse, dass sich Menschen im Urlaub anders als im Alltag verhalten, denn gerade dann versuchten sie Probleme auszublenden. „Und aktuell wollen diese Leute ja ganz bewusst raus aus der Corona-Situation in Deutschland.“

Und so wie auch die neuen Maßnahmen angelegt sind, muss man auch befürchten, dass erneut über die Rückkehrer das Virus und seine Varianten auch in Deutschland verstärkt verbreitet werden. Eine RKI-Studie weist auf die „reiseassoziierten COVID-19-Fälle“ im Sommer hin. Gesprochen wird von einer „Sommerferienwelle“ nach der Wiederöffnung der Grenzen im Juni. Der Höhepunkt bei den übermittelten reiseassoziierten COVID-19-Fällen sei Ende August mit 48,0 % erreicht worden. Damals befanden sich die Bundesländer, die mehr als 70 % der Bevölkerung aufweisen, gleichzeitig in den Sommerferien. Fast die Hälfte aller Neuinfektionen dürften mit einem Auslandsaufenthalt in Verbindung gestanden haben. Als danach das letzte Bundesland die Ferien beendete, sank der Anteil der Auslandsexpositionen auf knapp 9 % ab.

Spanier ärgern sich über die deutsche Politik

Klar ist, dass die 14-Tage-Inzidenz auf den Baleareninseln derzeit mit 45 pro 100.000 Einwohnern niedrig ist, allerdings steigt sie auch hier wie im ganzen Land derzeit wieder an. Allerdings sorgt nicht nur die Politik in Deutschland für großen Unmut in der eigenen Bevölkerung. Auch für viele Menschen im spanischen Staat ist es schlicht unbegreiflich, dass sie weiterhin nicht einmal in die Nachbarregion fahren oder einen Urlaub auf den Balearen buchen dürfen, während wieder viele Touristen aus Deutschland einreisen dürfen.

So wohnt Maria Jose Etxeberria im baskischen Irun und sie kann seit Monaten ihre Tochter und ihre Enkel nicht besuchen, die nur gut zehn Kilometer entfernt in Bera leben. Denn Bera liegt in Navarra und ist deshalb tabu. Die Kontrollen sind stark und wurden gerade erneut verschärft. „Das erzeugt unglaublichen Frust, weil es absolut unverständlich ist“, meint sie mit Blick auf die deutschen Touristen. Und ganz ähnlich sehen das viele Menschen im ganzen Staat. Die Bewohner aus Valencia, mit der derzeit niedrigsten 14-Tage-Inzidenz von 31, dürfen zum Beispiel weder in die Nachbarregion Murcia (56) fahren, noch an Ostern auf eine Fähre steigen, um auf die nahen Balearen überzusetzen.

Touristen aus Deutschland dürfen dagegen auch aus Thüringen einfliegen, wo die 7-Tage-Inzidenz derzeit mit 205 weiter den deutschen Spitzenwert markiert. Grob umgerechnet liegt die 14-Tage-Inzidenz damit über 400, also um ein Vielfaches höher als die in Valencia oder Murcia. Alle Bundesländer in Deutschland weisen eine höhere 7-Tage-Inzidenz als die 14-Tage-Inzidenzen in Valencia oder Murcia aus. Rechnet man auf die 14-Tage-Inzidenz um, ist sie in Deutschland fast überall höher als in der Mehrzahl den spanischen Regionen. Nur in Madrid, wo kaum Maßnahmen gegen Covid umgesetzt wurden, wo man weiter feiern. aber am Frauenkampftag nicht demonstrieren durfte, ist die Inzidenz mit 216 weiter so hoch wie in deutschen Durchschnitt.

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