Wie korrupt ist Österreich eigentlich?

Sebastian Kurz und Werner Kogler (Grüne) haben zur Regierungsbildung Posten geschachert. Bild: BKA/CC BY-2.0

Sowohl die weiteren Karrieren des ehemaligen Spitzenpersonals der türkis-grünen Koalition, als auch einige aktuell an die Öffentlichkeit gespielte Papiere lassen tief in das Regierungsverständnis der Koalitionäre blicken.

 

Die einen nennen es pragmatisch, die anderen „schäbig“. Die nun aufgetauchten „Sideletter“ zeigen auf, wie die grün-türkisen Koalitionäre dezidierte Absprachen über Postenbesetzungen in der Republik gemacht haben. Bei der Vergabe von Spitzenstellen waren politische Inhalte Verhandlungsmasse. Weil beide Koalitionspartner, insbesondere wohl die Grünen, wussten, welche Sprengkraft die Vereinbarungen an der Basis haben würden, wurden diese wohlweislich geheim gehalten.

Zuletzt hatten die zahlreichen Skandale rund um türkise Regierungsmitglieder die Koalition und das Land erschüttert. Nachdem einige ÖVP-Granden zurückgetreten waren, kehrte etwas Ruhe ein. Nun ist wieder sehr viel „Feuer am Dach“, weshalb manche Grüne eine Vergeltungsaktion der ÖVP mutmaßen.

Pikante Absprachen

Politik, Verwaltung und Wirtschaft sind in Österreich problematisch eng verwoben. Die Grünen, die ehemals lautstark für „saubere Politik“ eintraten, wollten dennoch keineswegs in den Koalitionsverhandlungen naiv erscheinen und hielten die paritätische Aufteilung von Spitzenposten schriftlich fest. Die Vorgängerregierung aus FPÖ-ÖVP hatte in ähnlichen Sidelettern sogar die für Ämter vorgesehenen Personen notiert, um späterem Streit vorzubeugen

Das heutige Beteuern der Grünen, sie hätten damit Sorge tragen wollen, dass Kompetenz in die Ämter käme und nicht alle Posten von der ÖVP abgefischt werden würden, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass anscheinend auch für die Grünen Transparenz und Parlamentarismus mitunter nur Fassaden sind. Tatsächlich regiert das getäfelte Hinterzimmer, in dem schon zu Beginn der Legislaturperiode ausgemacht wird, wer welche Posten besetzen darf.

Die ÖVP sollte jeweils die Präsidenten des Verwaltungsgerichts oder der Nationalbank, bei allfälliger Vakanz, nominieren können, die jeweiligen Vizepräsidenten die Grünen. Die ÖVP bekam den EU-Kommissar, die Grünen würden beim Europäischen Gerichtshof platzieren dürfen und die beiden Vorstände der Finanzmarktaufsicht wollte man sich ebenso teilen, was möglicherweise illegal ist, da die Regierung gar nicht beide Posten besetzen darf.

Das Ausverhandeln der Postenzuteilung wurde anscheinend auch mit Absprachen zu strittigen politischen Fragen abgesichert. Die Aufrechterhaltung des Kopftuchverbotes für Lehrpersonal, das für die Grünen ideologisch brisant war, wurde mit Spitzenposten beim ORF-Stiftungsrat  „bezahlt“, das Stillschweigen über den Auslauf von Frühpensionsregelungen wurde auf Wunsch der ÖVP ebenso vereinbart, die der SPÖ keine Vorlage für Kampagnen liefern wollte.

Die Koalitionäre verstanden sich augenscheinlich also ziemlich gut und nun bewertet man auch die Aufdeckung der Sideletter ähnlich. Eine „Kultur der Aufgeregtheit“ sieht ÖVP-Kanzler Nehammer. Womit er natürlich nicht ganz Unrecht hat. Einige in Wien waren zuletzt ungeduldig geworden, weil nach dem Weggang von Sebastian Kurz die Regierung nicht mehr ausreichend Nachschub an Skandalnachrichten „lieferte“.

Allerdings, Kanzler Nehammers ununterbrochene Kritik an dem im März beginnenden parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der klären soll, wie korruptionsanfällig die „türkise Bewegung“ tatsächlich war, zeigt einen unterentwickelten Aufklärungswillen des Kanzlers. Er arbeitet an dem Spin, die Opposition wolle lediglich der rechtschaffen agierenden ÖVP etwas ans Zeug flicken.

Nur müssen eigentlich keine Mutmaßungen mehr angestellt werden. Im Grunde genügt ein Blick auf die weitere Karriere von Sebastian Kurz und Ex-Finanzminister Gernot Blümel, um zu belegen, wie „weich“ man in Österreich als Spitzenpolitiker fällt. Das hässliche Wort „Korruption“ ist gar nicht nötig, es zeigt sich eher eine Normalität der Grauzone.

Türkise Familie wechselt zu den Big Players

„Gepflanzt“ darf man sich in Österreich fühlen, wenn einem ins Gesicht Dinge versprochen wurde, die das Gegenüber nie einzuhalten gedachte. Sebastian Kurz und Gernot Blümel haben es hier zu einer gewissen nonchalanten Meisterschaft gebracht. Zunächst betonten sie im Amte gerne, dass ihnen Österreich über alles ginge und dann erst die Familie (gemeint war vielleicht die Partei), die natürlich gegenüber dem Arbeitseifer zurückzustehen haben.

Als beide politisch für die ÖVP politisch nicht mehr zuhalten waren, kam der jähe Umschlag. Die Besinnung auf die eigentliche Familie und die gerade erst geborenen Nachkommen. Im Bilderbuchfinish schieden die beiden Politiker leichten Herzens aus der Politik aus, um sich ihren väterlichen Aufgaben mit Freude und Elan zu widmen.

Auch betonten beide, dass sie ihrer Familie die Anfeindungen und teilweise Morddrohungen nicht mehr zumuten wollen. Hier gebührt ihnen fraglos eine aufrichtige Anteilnahme, denn der öffentliche Diskurs in Österreich wird rhetorisch längst mit Vernichtungswillen geführt. Das ist zu verurteilen. Nur, die Polarisierung war immer Teil des türkisen Erfolges und die Dinge haben eine Tendenz in ihren Ursprung zurückzukehren, wie der diplomierte Philosoph Blümel schon einmal gehört haben dürfte.

Die melodramatische Besinnung der Familie hält keiner genaueren Betrachtung stand. Auf den weiteren Karriereweg schwenkten Kurz und Blümel derart schnell, dass man sich fragen muss, ob die Säuglinge ihre Väter demnächst noch viel ansichtig werden.

Ex-Finanzminister Gernot Blümel im November 2021 wechselte flugs nach Rücktritt am 2.12.2021 zu einem Hedgefonds. Bild: Florian Schrötter/BKA/CC BY-2.0

Ein Finanzminister wechselt zu Hedgefonds

Gernot Blümel fand eine lukrative Anstellung bei Superfund, den „Hedgefonds für Privatanleger“, womit nicht nur dem eigenen Salär, sondern auch Österreich gedient ist, schließlich sei in „Zeiten niedriger Zinsen und hoher Inflation [..] private Vermögensvorsorge zur Absicherung des Wohlstandes einer Gesellschaft immer wichtiger. Superfund versteht sich als Dienstleister, der genau dazu beiträgt und sein Angebot in den kommenden Jahren deutlich ausbauen wird…“, so der Ex-Finanzminister in einer Aussendung.

Die technische Basis des Erfolgs der Superfund Group war eine Anfang der 1990er Jahre entwickelte Software, die BTX-Texte auslesen konnte, um Börsendaten zu verarbeiten. Hier stellt sich eine simple Frage: Würde es nun mehr Sinn für die Führung von Superfund ergeben, den so gewonnen Informationsvorsprung einzusetzen, um üppige Gewinne an ihre kleinen Anleger auszuschütten, oder ist es möglicherweise zielführender, das eigene Anlagevermögen und das großer Investoren zu steigern?

Anders gefragt, sind Finanzprodukte ein Instrument der Umverteilung von kleinen Vermögen zu großen, oder von großen zu kleinen? Womit bei letzterem die Frage beantwortet werden müsste, weshalb die großen Vermögen dann überhaupt mitmachen sollten.

An dieser Stelle könnte ein langer und komplizierter Exkurs über Sinn, Bedeutung und Funktion von Hedgefonds ausgewälzt werden. Kritiker wie Warren Buffett stellen überhaupt den Sinn der passiven Teilnehmer am Börsengeschehen in Frage. Warum sollte jemand gewonnenes Wissen anderen zur Verfügung stellen und nicht selbst damit spekulieren?

Ebenso gibt es eine ausufernde Diskussion darüber, welche Bedeutung überhaupt Hedgefonds-Manager haben, die ihre hohen Prämien rechtfertigen würden. Anleger dürfen sich nämlich fragen, welche Leistungen hier sinnvollerweise vergütet werden, und es dürfte letztlich sogar die Frage gestellt werden, ob es sich bei den Hedgefonds um ein (vollkommen legales!) Pyramidenspiel handelt, das auf die Dauer nur bei ständig steigendem Anlagevermögen funktioniert. Das also nur funktionieren kann, indem immer mehr Menschen an der Börse bzw. in Fonds investieren.

Dem könnte bald der sogenannte „Wild Rumpus“ ein Ende bereiten, den Analysten wie Jeremy Grantham vorhersagen. Also das periodische Platzen der großen Blase, wie beispielsweise 1929 oder 2006, das zu einer Bereinigung führt durch „Verlust“ von großen Anlagevermögen. Große und besser informierte Investoren ziehen ihren Investments zurück, die kleinen können es nicht und verbleiben mit mehr oder weniger wertlos gewordenen Anlagen.

Die letzte Frage ist nun, wo sollte ein „bestens in der Finanzwelt vernetzter“ ehemalige österreichischer Finanzminister von solchen Gefahren gehört haben? Schließlich war seine Aufgabe doch immer die, ein allgemeines Vertrauen in die Märkte zu stärken.

Wie immer das Handeln von Gernot Blümel im Einzelnen bewertet werden mag, das Wechseln eines österreichischen Finanzministers in einen Hedgefonds muss fraglos in der Schublade mit der Aufschrift „problematisch“ abgelegt werden.

Der Kanzler heuert bei Trump-Unterstützer an

Ex-Kanzler Sebastian Kurz machte es natürlich „eine Nummer größer“ und wurde „Global Strategist“ bei „Thiel Capital“. Ein Konzern, der von dem deutschstämmigen US-Investor Peter Thiel ins Leben gerufen wurde, der bereits persönlich den Wallstreet-Bösewicht und Finanzjongleur in Filmen von Oliver Stone verkörpern durfte.

Kurz selbst gründete im beschaulichen niederösterreichischen Horn die „SK Management GmbH“, um seine Einnahmen aus Beratertätigkeiten und Beteiligungen zu verwalten. Eine Entscheidung, die der Ex-Kanzler mit einem gewissen Stolz dem Land verkündete, denn schließlich bezeugt die Wahl des Firmensitzes in Österreich den Willen von Sebastian Kurz, auch hier seine Steuern zu zahlen. Ein Ex-Kanzler, der freiwillig seine Steuern zahlt – es gibt also noch erfreuliche Nachrichten im korruptionsgebeutelten Austria.

Das neue geschäftliche Umfeld von Kurz ist hingegen eines das Bauchschmerzen verursachen könnte. Peter Thiel äußert sich gerne zu seiner Demokratieskepsis. Laut dem erfolgreichen Unternehmer sind parlamentarische Aushandlungsprozesse ineffizient und würde dem Genie insbesondere der Tech-Investoren im Weg stehen. Im Übrigen seien Monopole nichts Schlechtes.

Folgerichtig ist Thiel Spender des immer offener an demokratischen Prozessen zweifelnden Donald Trump. Damit schließt sich für Sebastian Kurz ein Kreis. Kurz war in seinem politischen Agieren immer eine Art Trumpist, von dem er sogar leicht bizarre Forderungen kopierte, wie die, dass für jede neue Regulation zwei alte gestrichen werden sollten.

„Wirtschaftsfreundlich“ ist zu wenig gesagt, es geht eher um ein Zuarbeiten für einen kleinen elitären Kreis, der bekanntermaßen wenig an Regeln interessiert ist. Weil dies an der Wahlurne nicht sonderlich zieht, muss dies mit kulturellem und nationalistischem Getöse verpackt werden: „America first“ oder die „Rettung unserer abendländlichen Kultur“.

Zwar durchschaut das Publikum schnell, dass es Egomanen vor sich hat, die letztlich nur am eigenen Vorankommen interessiert sind, die mal den braven Schwiegersohn und mal den lüsternen Milliardär spielen. Dennoch identifiziert man sich mit ihnen aufgrund der irrigen Annahme, dass ein selbstsüchtiger und ruchloser Egoist auf der „eigenen Seite“ nützlich für die eigenen Anliegen ist.

Es ist ein historischer Verdient des Corona-Virus, diese Illusion zumindest bei Trump und Kurz aufgelöst zu haben. Ihre Pandemie-Pannen waren zu eklatant, so dass sie aus ihren Ämtern entfernt wurden. Ihre Korruptionsanfälligkeit wäre ihnen wohl niemals in diesem Maße übel genommen worden.

Die beruflichen Erfolge von Kurz und Blümel zeigen ebenso, wie die jetzt aufgetauchten Sideletter ein ernüchterndes Bild davon, wie der „Hase in Österreich läuft“. Es regiert meist der Opportunismus – und der wird reichlich belohnt.

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