Journalismus der Halbwahrheiten im Konflikt Ukraine/Nato und Russland

Russische Panzer werden verlegt.

Wieder einmal geht es um die russische Gefahr und einen schärferen antirussischen Kurs. Kiew hat Ende März eine zahnlose, aber provokative „Strategie zur Beendigung der Bersatzung und der Reintegration der Krim“ vorgelegt.

Journalisten sind gerne fürsorglich, wenn sie als Pseudogeneräle im Lehnstuhl sitzen, und klagen an, dass Deutschland doch endlich mal „verantwortlich“ handeln, also aufrüsten und vermehrt für Auslandseinsätze bereit soll, und, wenn es um die „russische Gefahr“, bereits zum geflügelten Wort geworden, geht, mehr abschrecken und provozieren müsste. Daniel Brössler sticht da komplexitätsreduzierend hervor und rügt gerade in einem Kommentar in der Süddeutschen Zeitung die deutsche und französische Regierung, weil die nur zur Zurückhaltung aufgefordert haben, wo doch die „militärische Machtschau an den Grenzen der Ukraine“ der Erinnerung an russisches Fehlverhalten auf die Beine helfen sollte. Brössler wünscht sich harte Sanktionen und Abschreckung und gefällt sich mal wieder als Psychoanalytiker von Wladimir Putin.

Man könnte sagen, der Journalist geht bestenfalls mit Halbwahrheiten voran. Ohne jeden Hinweis auf das, was voranging, die mit Deutschland, Frankreich und Polen vereinbarte Übergangslösung, der von den radikalen Maidan-Aktivisten mit der Biligung der USA („Fuck the EU“) vollzogene Sturz der demokratisch gewählten Regierung und die machtpolitisch verständliche Angst, durch die nationalistische Regierung und den Anschluss an die EU/Nato einen der wichtigsten Militärstützpunkte auf der Krim zu verlieren, schreibt Brössler: „Vor sieben Jahren ist geschehen, was bis dahin zwar als vorstellbar, aber doch als höchst unwahrscheinlich galt. Der größte Staat der Erde griff seinen Nachbarn im Westen an. Mit zunächst camouflierter militärischer Gewalt übernahm Russland die Kontrolle über die ukrainische Krim, annektierte die Halbinsel und begann mit irregulären Truppen einen Krieg im Donbass.“

Wenn Brössler schreibt, Russland habe mit irregulären Truppen einen Krieg im Donbass begonnen, so ist auch hier die Auslassung des Hintergrunds bezeichnend für die strategische Einseitigkeit, die zur Dämonisierung notwendig ist. Nach dem Maidan in Kiew, bei dem sich extrem nationalistische Teile der Prostierenden bewaffneten, Häuser besetzten und auch mit Gewalt gegen die Polizei vorgingen – und wahrscheinlich mit dabei waren, Menschen auf dem Maidan zu erschießen, um eine Wende herbeizuführen, was auch gelungen ist, haben nach dem Regierungssturz Menschen in der  eher Russland zugewandten Ostukraine mit denselben Mitteln gegen diesen und die eingesetzte Regierung protestiert. Im Gegensatz zu den Maidan-Protestierern wurden sie schnell als Terroristen bezeichnet, um dann militärisch, auch mit Panzern und Kampfflugzeugen, gegen sie in einem vom Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat unter der Leitung des rechtsnationalistischen  Andrij Parubij („Kommandeur des Maidan“) ausgerufenen Antiterroroperation (ATO) vorzugehen und so von vorneherein jede friedliche oder Verhandlungslösung zu unterbinden.

Anschließend sagt der Journalist und Möchtegern-Geopolitiker, Putin könne vielleicht  versuchen, Neurussland zu gründen und die Ukraine zu spalten, vielleicht wolle er nur Joe Biden herausfordern oder, schlimmer noch, er wisse mitunter noch gar nicht, was er vorhabe: „Eben diese Unklarheit“, so die verquere Logik, die nur auf Basis der vorher gepflegten Dämonisierung überzeugen kann, „zwingt den Westen zur Klarheit. 2014 ist Putin offenbar von der scharfen Reaktion und den spürbaren Sanktionen überrascht worden. Der Kremlchef sollte diesmal unbedingt wissen, worauf er sich einlässt.“

Ein Geheimnis bleibt auch, warum Putin – auch die damit praktizierte Personalisierung der russischen Politik ist ein populistisches Rhetorikmittel – von der Reaktion überrascht worden sein soll, offenbar hat Russland ja nicht eingelenkt, sondern sich mit den Sanktionen eingerichtet. Das Verhältnis zur EU habe Russland „abgeschrieben“, wofür die EU seit 2014 viel getan hat, was selbstverständlich auch nicht erwähnt wird.

Von der OSZE-Mission beobachtete Waffenstillstandsverletzungen, die auf beiden Seiten geschehen.

Aber in Broesslers Weltsicht reagieren die USA und die EU nur, nach Trump könnten genausogut die Ukraine, die USA und die EU testen, wie weit sie gehen können. Für Broessler sind solche Überlegungen tabu: Jetzt müsse die EU wieder mit der von Trump vielfach praktizierten Sanktionsandrohung zur Abschreckung vorgegangen werden. Der russische Feind kennt nur die Sprache der Macht, so wird suggeriert. Verhandlungen mit dem Bösen darf es offenbar nicht geben. Genauso begann auch der Konflikt mit Russland, als die USA beschloss, an den Grenzen Russlands das Raketenabwehrsystem zu installieren und jede Verständigung mit der Lüge oder vielleicht auch  nur Halbwahrheit ausschloss, es richte sich doch nur gegen den Iran und Nordkorea.

Die ukrainische Traumstrategie zur Beendigung der Besatzung der Krim

Möglichweise trägt zum gegenwärtigen Konflikt neben dem gewünschten Nato-Beitritt auch ein Dekret No. 117/2021 bei, das der ukrainische Präsident Selenskij am 23. März allerdings nur in ukrainischer Sprache veröffentlichte. Es handelt sich um die im Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat m 11. März beschlossene „Strategie zur Beendigung der Besetzung und Reintegration des zeitweise besetzten Territoriums der Autonomen Republik der Krim und der Stadt Sewastopol“. Konkrete Schritte, wie die „Besatzung“ bzw. die Annexion der Krim beendet werden könnte, findet man nicht, also auch keine militärischen Überlegungen. Es wird nur lange ausformuliert, wie man nach der Beendigung der „Besetzung“ die Reintegration wirtschaftlich, politisch, militärisch, gesellschaftlich oder informationstechnisch durchführen will. Und es soll ein Aktionsplan vom Kabinett ausgearbeitet werden.

Informationspolitisch will man etwa dafür sorgen, dass „eine objektive und verlässliche Berichterstattung über die Situation in dem vorübergehend besetzten Gebiet in den Medien, auch in den ausländischen“, stattfindet. Dafür könnte das neu eröffnete Zentrum zur Bekämpfung der Desinformation dienen, fraglich ist nur, wie das außerhalb der Ukraine erreicht werden soll, in der Ukraine kann man Fernsehsender und Medien zensieren. Man will überdies gegen alle auf der Krim vorgehen, die „Verrat“ begangen haben, was die meisten Krimbewohner nicht gerade freudig stimmen dürfte.

Obgleich es eigentlich gar nicht um die Ostukraine geht, wird gesagt, dass Kiew den Erwerb der russischen Staatsbürgerschaft, den Russland ohne große Formalitäten ermöglichte, nicht anerkenne und dies „als Zwangsmaßnahme gegen Bürger der Ukraine und als Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht“ verstehe. Moskau hat sich damit hinter die Menschen in den „Volksrepubliken“ gestellt, die für deren Unabhängigkeit sind, aber auch einen militärischen Vorstoß der Ukraine erschwert, weil damit Russland sich legitimieren könnte, „seine“ Bürger zu schützen.

Bei der Krim wird Russland ukrainische Übergriffe sowieso nicht zulassen, es ist kaum oder nicht vorstellbar, dass Moskau die Halbinsel verlassen wird, wenn es nicht militärisch besiegt wird, was aber einen Krieg mit der Beihilfe der Nato und vor allem amerikanischer Truppen voraussetzen würde. Zudem schließt die Ukraine Verhandlungen über den Stützpunkt der Schwarzmeerflotte aus, da sie nach der Strategie „an dem Prinzip der Denuklearisierung und Entmilitarisierung der Krimhalbinsel und der Umwandlung der Schwarzmeerregion in ein Gebiet des Friedens und der Sicherheit“ festhält. Geplant scheint zu sein, Russland anzuklagen, wenn Atomwaffen auf die Krim verlegt werden. Aus Sicht von Kiew – und vielleicht auch der Unterstützerstaaten – wäre das eine Proliferation in ein anderen Land, was nach dem Atomwaffensperrvertrag verboten ist. Aber Konsequenzen wird dies nicht haben.

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