Corona-Pandemie:  „Ich sehe keine Anzeichen dafür, dass weltweit Konsequenzen gezogen werden „

Sars-CoV-2-Viren. Bild: NIAID

Der Arzt und Medizinhistoriker Karl Heinz Roth über die Schwere der Corona-Pandemie, den Impfzwang, die Mängel des Gesundheitssystems und welche Konsequenzen aus den Fehlern bei der Bewältigung gezogen werden müssten.

 

Sie haben jetzt mit „Blinde Passagiere“ ein umfangreiches Buch zur Coronapandemie mit dem Stand der Dinge bis etwa Juli 2021 veröffentlicht. Was würden Sie denn jetzt im Rückblick sagen? Wie gefährlich ist die Covid-19-Pandemie, auch im Vergleich zu anderen Epidemien, die wir in den letzten Jahrzehnten hatten?

Karl Heinz Roth: Die Covid-19- Pandemie ist eine schwere Pandemie, wenn man sie vergleicht, beispielsweise mit den Influenza-Pandemien in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und vor allem mit der Influenza-Katastrophe von 1918 bis 1920, der sogenannten Spanischen Grippe. Dann sieht man allerdings, dass sie in diesen Koordinaten gesehen nicht so katastrophal ist wie die Influenza von 1918 bis 1920, an der 55 Millionen Menschen gestorben sind. Die Hälfte der Menschheit war, soweit man das heute überblickt, infiziert. Der Krankheitsverlauf war schwer. Aber bei den Influenza-Pandemien in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die mittelschwer waren, sind weitaus weniger Menschen gestorben, und zwar insgesamt bei allen drei großen Pandemien, also der Asiatischen Grippe, der Hongkong-Grippe und der großen Pandemie von 2017-18 , als in der jetzigen Pandemie überhaupt.

Offiziell registriert die Weltgesundheitsorganisation aktuell etwa 410 Millionen Infizierte und 5,8 Millionen Todesopfer. Wenn man die Dunkelziffer berechnet und schätzt, darüber haben sich viele Experten den Kopf zerbrochen, dann ist die Zahl der Infizierten weitaus höher, etwa fünfmal so hoch. Wir können also davon ausgehen, dass von 7,7 Milliarden Menschen, also der aktuellen Bevölkerung der Welt, etwa zwei Milliarden infiziert waren. Nach meinen Schätzungen sind etwa sieben bis acht Millionen Menschen gestorben.

Bei den Sterbedaten gibt es doch weiterhin das Problem, dass wir nicht wissen, ob die Menschen an oder mit Corona gestorben sind, also ob sie zwar infiziert waren, aber aus anderen Gründen starben. Kann man diese Zahlen abschätzen?

Karl Heinz Roth: Man kann sie noch nicht sicher abschätzen. Aber es gibt jetzt seit einigen Monaten internationale Studien, die diese Dimension einigermaßen eingrenzen. Offiziell sind im Gefolge der Corona-Pandemie tatsächlich 5,8 Millionen Menschen gestorben. Es gibt eine Dunkelziffer von etwa 7 bis 8 Millionen. Man muss aber noch weitere etwa 5 Millionen Menschen dazu rechnen, die in der Übersterblichkeit auftauchen, das heißt, die zusätzlich gestorben sind und ohne die Pandemie nicht gestorben wären, aber die nicht an Covid-19 erkrankt waren. Das liegt einfach daran, dass das vollkommen überlastete und regulierte Gesundheitswesen der Welt alle Ressourcen, alle Reserven auf die Bekämpfung der Pandemie konzentriert hat, wodurch Kollateralschäden entstanden sind. Und diese Kollateralschäden durch medizinische Unterversorgung beispielsweise im globalen Süden, bei der Tuberkulose, bei der Malaria, bei Aids und so weiter, sind massiv. Es gibt sie aber auch in den Metropolen, also in den reichen Ländern. Und dann kommen wir auf mindestens etwa 12 Millionen Todesopfer, von denen etwa 7,5 Millionen wirklich infolge von Covid-19 gestorben sind und weitere 5 Millionen indirekt durch die sogenannten gesundheitspolitischen Kollateralschäden.

„Die Deregulierung des Gesundheitswesens war ein entscheidender Faktor“

Sie haben in Ihrem Buch geschrieben, dass eine der Ursachen der Pandemie nicht nur der Virus ist, der durch die Zerstörung der Umwelt in die menschliche Sphäre eindringen kann, sondern auch das Gesundheitssystem, das durch die Kapitalisierung, durch die Ökonomisierung, durch die Privatisierung ausgedünnt wurde. Zudem wurden die Kapazitäten in den westlichen Ländern abgebaut. War das in den 50er und 60er Jahren beispielsweise noch anders?

Karl Heinz Roth: Das war anders. In den 1950er und 1960er Jahren war die Weltgesundheitsorganisation eine mächtige Institution. Sie war die am besten etablierte Institution der Vereinten Nationen. Und sie war die einzige Institution, soweit ich das überblicke, die tatsächlich die Barrieren des Kalten Kriegs überbrückt hat. Sie hatte große Verdienste beim Aufbau eines elementaren Gesundheitswesens im globalen Süden. Sie hatte große Verdienste noch in den 1960er, 1970er Jahren, zum Beispiel bei der Ausrottung der Pocken-Pandemie. Das  ist dann in der Folge der Weltwirtschaftskrise von 1970 bis 1976 in eine schwere Krise geraten. Dadurch sind die damaligen Schwellen- und Entwicklungsländer in eine schwere Überschuldung geraten haben ihre Mitgliedsbeiträge nicht mehr bezahlt. Das gesamte Gesundheitswesen des globalen Südens wurde dereguliert, es wurde heruntergefahren. Und es gab dann auch eine Kampagne der Kommerzialisierung, der Privatisierung des Gesundheitswesens im Rahmen der neoliberalen Gegenrevolution, die das Gesundheitswesen in ganz wesentlichen Aspekten dem Renditedenken der Besitzer von Kapitalvermögen überlassen hat.

Es kam also zu einer massiven Deregulierung weltweit, die zur Folge hatte, dass eine gravierendere Ausnahmesituation wie jetzt die Pandemie nicht mehr bewältigt werden konnte. Die Beschäftigten des Gesundheitswesens waren schon unter normalen Bedingungen am Rande ihrer Möglichkeiten. Und das Ganze ist dann in der Situation, in der die Pandemie ausbrach und sich weltweit ausbreitete, mehr oder weniger in eine extreme Krisensituation geraten. Die Deregulierung des Gesundheitswesens war also ein entscheidender Faktor.

„Die Menschen wurden zu Renditeobjekten“

Würden Sie denn sagen, dass sich über die Deregulierung auch die Einschätzung von Krankheiten oder von menschlicher Gesundheit in eine bestimmte Richtung verändert hat?

Karl Heinz Roth: Ja, die Menschen wurden zu Renditeobjekten. Das ist sehr gravierend. Das kann man beispielsweise am Krankenhauswesen oder an den Alten- und Pflegeheimen sehen. Früher waren die Pflegeheime und die Krankenhäuser im Wesentlichen öffentliche Einrichtungen. Sie waren öffentlich finanziert. Dann wurden sogenannte Fallpauschalen eingeführt, die den ganzen sozialen Kontext der Behandlung von Patientinnen und Patienten ausblenden. Sie wurden nach standardisierten Kriterien einer optimalen medizinischen Versorgung oder medizinischen Behandlung sozusagen objektiviert. Es war ein Entfremdungsprozess, der mit dem Rentabilitätskriterium einherging. Und ich denke, das hat zu einer schweren mentalen Krise geführt.

Aber Sie würden nicht sagen, dass beispielsweise bestimmte Behandlungsmethoden, Techniken oder Möglichkeiten favorisiert wurden, also wie jetzt in der Corona-Pandemie beispielsweise die Entwicklung von Impfstoffen oder von bestimmten Medikamenten?

Karl Heinz Roth: Das wurde natürlich favorisiert, das war auch in den vorherigen Pandemieplänen, die durchgespielt worden waren, ein sehr wichtiger Faktor. Aber man muss bedenken, dass es zwei Vorläuferpandemien gegeben hat: SARS-CoV-1. und MERS-CoV. Dabei wurden Medikamente -entwickelt und auch die Impfstoff-Entwicklung wurde hochgefahren. Als diese beiden Pandemien endemisch wurden, das heißt als die aktuelle Notsituation vorbei war, wurden auch die Entwicklungsprogramme für Medikamente und Impfstoffe wieder reduziert bzw. vollkommen eingestellt.

Es gab erfolgversprechende Medikamente, sogenannte Protease-Inhibitoren beispielsweise, also antivirale Medikamente, die von Pfizer 2003, 2004 entwickelt worden waren. Der Konzern hat sie jetzt sozusagen wieder aus den Schubladen hervorgeholt, da ihre Entwicklung 2004 eingestellt worden war. Der Chef der Forschungsabteilung von Pfizer wurde gefragt: Warum habt ihr dieses Medikament nicht ein Jahr früher gehabt? Worauf er ganz einfach antwortete: No market, no research, wo es keinen Markt gibt, also wo es keine Rendite gibt, wird auch nicht mehr weiter geforscht. Wenn also die Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten als Gemeingut behandelt worden wäre, wenn sie in einem sozialisierten Kontext stattgefunden hätte, dann hätte man zum Beispiel dieses Medikament, das jetzt sehr erfolgreich eingesetzt wird, mindestens schon ein Jahr früher gehabt.

„Es gibt keine Lernprozesse bei den herrschenden Eliten“

Noch einmal zum Gesundheitssystem. Es war eine Devise der politischen Bekämpfung der Pandemie, dass man immer sagte, man dürfe die Krankenhäuser nicht überlasten. Sie wiesen auch darauf hin, dass durch die Deregulierung die Krankenhauskapazitäten plus Personal heruntergefahren wurden. Noch in der Pandemie sind sie abgesenkt worden. Also ist es doch ein völlig abwegiges Argument zu sagen, das sei das Kriterium, an dem man die Maßnahmen zur Bekämpfung ausrichten müsse, weil die Situation ja politisch sehr leicht zu lösen wäre. Ist denn mittlerweile zu sehen, dass an diesem kranken System irgendetwas langfristig verändert wird? Oder bleibt die Politik bei den kurzfristigen Reaktionen?

Karl Heinz Roth: Ich glaube, dass der sogenannte große Lockdown und dass die ganzen sehr unspezifischen allgemeinen Kontakt- und Mobilitätsbeschränkungen, die ja katastrophale soziale und ökonomische Wirkung gehabt haben, als Vorwand benutzt wurden, um tatsächlich dieses Phänomen zu verschleiern. Ich sehe keine Anzeichen dafür, dass weltweit oder auch nur in den reichen Ländern Konsequenzen gezogen werden und dass jetzt die Deregulierung des Gesundheitswesens zurückgefahren wird. Hunderttausende von Menschen sind in den ersten drei Pandemiewellen gestorben, weil es nicht möglich war, die schwerkranken Infizierten von den nicht infizierten Schwerkranken in den Krankenhäusern zu trennen, weil die Reservekapazitäten nicht da waren.

Es scheint so zu sein, dass niemand bereit ist, Konsequenzen zu ziehen. Und gerade deshalb halte ich es für so wichtig, eine alternative Gesundheitsbewegung zu starten, um an diesem Punkt anzusetzen. Man kann nicht erwarten, dass ein Mann wie Karl Lauterbach, der als SPD-Politiker seine Karriere mit der Deregulierung des Gesundheitswesens und vor allem auch des Krankenhaussystems gemacht hat, in der aktuellen Situation bereit wäre zu sagen: Okay, wir haben Mist gemacht, wir müssen vollkommen umsteuern, wir müssen das Gesundheitswesen rekommunalisieren. Wenn es keine breite soziale Basisbewegung gibt, die das in Gang bringt, wird überhaupt nichts passieren. Es gibt keine Lernprozesse bei den herrschenden Eliten.

Man könnte sagen, es habe einen gewissen Lernprozess gegeben, da man anstrebt, sich unabhängiger von den Lieferketten oder von in China und anderswo hergestellten Dingen wie Masken, Schutzkleidung, Medikamente etc. zu machen und mehr in Deutschland zu produzieren. Aber das ändert natürlich nichts an der Krankenhausstruktur …

Karl Heinz Roth: Es ändert nichts an der genauen Struktur.  Sie haben die Masken angesprochen. Man hat zwar gelernt, die Infektionshygiene in die Maßnahmen einzubeziehen, aber man kombiniert sie gleichzeitig mit Zielvorstellungen, die völlig unsinnig sind, wie zum Beispiel dem Impfzwang. Von daher kann man sehen, dass auch in der jetzigen Situation sehr wenig gelernt wird. Übrigens müssen Sie auch daran denken, dass im Frühjahr 2020, als diese Gesichtsmasken dringend benötigt wurden, um überhaupt eine Infektionshygiene zu etablieren, die führenden Experten und Institutionen auch in der Bundesrepublik gesagt haben, Gesichtsmasken bringen nichts.

Die WHO hat das am Anfang auch gesagt …

Karl Heinz Roth: Aber sie hat sich dann sehr schnell korrigiert, im Gegensatz beispielsweise zu anderen Ländern wie Deutschland. Es wurden unglaubliche Fehler gemacht, auch im fachlichen Bereich. Das alles müssen wir noch genau aufarbeiten. Die Verantwortlichen, die für dieses Desaster geradestehen müssten, sagen jetzt: Ja, ja, es kann schon sein, dass wir Fehler gemacht haben, aber wir waren unter Handlungsdruck. Wir mussten irgendetwas machen. Und damit kaschieren sie ihren eigenen hilflosen Aktionismus auf der einen Seite und auf der anderen Seite verschleiern sie die Tatsache, dass sie für das Desaster verantwortlich sind, weil sie strukturelle Veränderungen im Gesundheitswesen durchgesetzt haben, die wirklich katastrophal sind, gerade auch im Alten- und Pflegebereich.

Sie müssen sich vorstellen, der größte Teil der Alten und Pflegeheime, wo die meisten Menschen in dieser Pandemie gestorben sind, bis noch in die dritte und vierte Welle hinein, ist privatisiert. Kapitalvermögen-Besitzer, also globale Investoren, haben die Anlagen und die Grundstücke gekauft und Betreibergesellschaften eingerichtet. Die Betreibergesellschaften müssen eine hohe Rendite an die Kapitalinvestoren zahlen und gleichzeitig wollen sie natürlich Profit machen. Das geht und ging auf Kosten der Pflegeheime-Insassen. Es gab nur ganz wenige Pflegeheimebereiche, zum Teil kommunal, zum Teil aber auch in wohlhabenderen Kategorien, in denen überhaupt Vorräte existiert haben, um wirklich schnell gegensteuern zu können.

„Eine Impfung kann nur eine befristete Lösung sein“

Die Privatisierung auch im Alten- und Pflegebereich passt gut dazu, dass in der Corona-Pandemie die große Lösung  der Impfstoff wurde. Man hoffte wohl auch darauf, ohne andere anderweitige Veränderungen durch die Entwicklung von Impfstoffen sozusagen wieder Ruhe an die Front zu bringen und so weitermachen zu können wie bisher. Es zeigt sich jetzt, etwa auch mit der Diskussion über die Impfpflicht, dass offenbar zumindest das Virus nicht mitspielt, weil die Impfstoffe nicht wirklich vor Infektion  schützen, auch wenn sie wahrscheinlich vor schweren Erkrankungen schützen. Ein Impfstoff kann offenbar nicht der Weg nach draußen sein.

Karl Heinz Roth: Nein, das war aber auch von Anfang an klar. Wer sich in der Impfstoffentwicklung historisch auskennt, in der Konfrontation mit anderen historischen Pandemien, der weiß, dass Impfstoffe  eine wichtige Funktion haben, aber dass sie nur immer in einem Ensemble wirksam sein können, also in einer gut organisierten gesundheitlichen Basisversorgung und natürlich einer gut disponierten Medikamentenentwicklung. In diesem Kontext haben sie ihre Rolle, aber Sie haben völlig recht, die Akteure haben geglaubt, sozusagen mit den Impfstoffen ein Allheilmittel zu bekommen. Für alle Experten war von Anfang an klar, dass diese Impfstoffe nur befristet wirken. Das heißt, dass die Abwehr, die sie mobilisieren, nach etwa einem halben Jahr wieder zurückgeht. Das war völlig klar.

Das betrifft aber nur den Coronavirus-Impftstoff?

Karl Heinz Roth: Ich spreche vom Corona-Impfstoff, der Polio-Impfstoff wirkt beispielsweise jahrzehntelang.  Und in diesem Bereich war es aber klar, da es ja die Vorläufer-Pandemien und eine breite epidemiologische Forschung gab, in die die Impfstoffentwicklung eingebettet ist. Die wurde dann überstürzt hochgefahren, nachdem man sie 15 Jahre lang sozusagen ad acta gelegt hatte.

Das Problem allerdings ist jetzt, dass  neue Virusvarianten entstanden sind. Sie sind auf der einen Seite immer ansteckender, auf der anderen Seite aber für den Menschen immer weniger gefährlich. Das heißt die Krankenhausbehandlungen, die schweren und tödlichen Verläufe gehen deutlich zurück, aber die Varianten sind in der Lage, das Immunsystem  immer besser zu umgehen. Und von daher war für alle, die in der epidemiologischen Forschung einigermaßen den Überblick haben, klar, dass eine Impfung nur eine befristete Lösung ist. Sie konnte im optimalen Fall vielleicht ein Jahr oder anderthalb Jahre einen  Zeitgewinn bringen, um dann tatsächlich ein ganz systematisches neues Konzept auf der Basis der Infektion, Hygiene, der Rekommunalisierung, des Gesundheitswesens usw. in Gang zu bringen. Aber es ist kein Allheilmittel.

Das kann man beispielsweise beim Impfzwang sehen, der schon für das Krankenhaus- und Pflegepersonal gesetzlich etabliert ist. Jetzt gibt es Schwierigkeiten, ihn umzusetzen, weil sehr viele Leute offensichtlich kündigen oder gekündigt werden müssen. Man hat also einen weiteren Braindrain zu befürchten. Das generelle Problem ist, wenn auch Geimpfte den Erreger übertragen, und das ist der Fall, dann kann man nicht einen Impfzwang einführen, denn es gibt ja keinen Schutz. Das heißt, Ungeimpfte sind genauso riskant für Insassen von Alten- und Pflegeheimen wie Geimpfte.

Es gibt noch viele weitere detaillierte Argumente auf diesem Gebiet. Ich möchte zumindest noch den Nationalismus ansprechen.  Es ist völlig absurd zu versuchen, die hohe Quote von 75 Prozent durch einen allgemeinen Impfzwang auf 80 Prozent zu erhöhen – mehr geht sowieso nicht -, während im globalen Süden noch immer eine ganze Ländergruppe existiert, in der weniger als 5 Prozent aller Menschen geimpft sind. Ein Impfzwang in den reichen Ländern ohne globale Synchronisierung ist völlig sinnlos.

Die vierte Welle wurde durch das Delta-Virus ausgelöst, das aus Indien kam. In Indien war die Impfquote extrem niedrig. Die Omikron-Welle kam aus dem südlichen Afrika. Als sie sich dort entwickelte, lag die Impfquote dort bei acht bis zwölf Prozent. Nun hat man sie in den Metropolen. Das war vorauszusehen. Durch keine Reisebeschränkungen können sie das verhindern. Eine nicht global agierende Impfkampagne ist völlig absurd. Und das ist für einen Medizinhistoriker und auch Mediziner wie mich skandalös, weil wir alle wissen, mit welchen Mitteln es gelungen ist, die Pocken auszurotten. Das ging nur durch eine weltweite synchrone Aktion.

„Das Problem der Pandemie ist mit einem vielleicht positiven Ausgang keineswegs gelöst“

Eine einheitliche globale Lösung scheint  heutzutage kaum noch möglich zu sein, weil die politischen Konkurrenzen im Augenblick zu groß sind und  die Großmächte gegeneinander agieren. Aber jetzt mal einen Blick noch nach vorne. Jetzt lassen wir vielleicht die Covid-19-Pandemie hinter uns, vielleicht wird sie endemisch, vielleicht auch nicht. Aber wie sieht es denn in der Zukunft aus? Wir haben jetzt gesehen, dass die Politik relativ schnell reagieren, massive Maßnahmen einleiten und durchsetzen, die Wirtschaft wegen einer Pandemie lahmlegen kann, die zwar gefährlich ist, aber von früheren Epidemien übertroffen wird. Wenn jetzt zum Beispiel eine neue, etwas schwerere Grippe-Pandemie kommt, steht dann die Politik nicht unter Druck, dass das einzelne Leben wieder geschützt oder versucht werden muss, dass die Krankenhäuser nicht überlastet sind und Ähnliches. Steigt dann nicht wieder  der Druck auf die Politik, jedes Mal auf vergleichbare Weise und mit ähnlichen drastischen Mitteln Leben retten zu müssen?

Karl Heinz Roth: Es ist zunächst einmal tatsächlich unklar, wie es mit dieser Pandemie ausgeht. Der günstigste Fall wäre, dass sie wirklich im Verlauf des Frühjahrs zurückgeht und dann endemisch wird. Aber wir können davon ausgehen, dass die Corona-Pandemie auch im endemischen Stadium weiter existiert, dass sie parallel zur Influenza auch immer wieder aufbrechen wird. Neueste Forschungen zeigen, dass das Corona-Virus inzwischen in verschiedenen Nutztier-, Haustier- und Wildtierarten neue Reservate gebildet hat. In diesen Reservaten entstehen neue Varianten, die irgendwann wieder auf den Menschen überspringen werden.

Sie haben also recht, das Problem der Pandemie ist mit einem vielleicht positiven Ausgang, der noch nicht sicher ist, keineswegs gelöst. Im Gegenteil, es bleibt auf der Agenda. Und es bleibt natürlich auch vor allem deshalb auf der Agenda, weil die tieferen Ursachen die Klimakatastrophe, die fortschreitende Naturzerstörung und die Massentierhaltung sind. Die ersten Reservate des Coronavirus sind beispielsweise in den Nerzzucht-Farmen in den Niederlanden und in Dänemark entstanden und breiten sich jetzt weltweit aus.

Wir haben also wahrscheinlich eine Parallelität zwischen Influenza-Pandemien und der Corona-Pandemie. Das sind ja alles schwere akute Erkrankungen des Atemwegssystems. Es wird also notwendig, die Forschung hochzufahren, um einen kombinierten Impfstoff  gegen Influenza und die Coronaviren zu entwickeln. Das kann man nur machen, wenn die Forschung als Gemeingut etabliert und den Konzernen entzogen wird. Genau das Gleiche gilt natürlich für die neue Entwicklung antiviraler Medikamente. Das gilt für die Entwicklung einer breit angelegten Infektionshygiene. Dieser Druck wird steigen, aber es wird wieder so sein, dass die verantwortlichen Akteure in einen hilflosen Aktionismus verfallen, um den Eindruck zu erwecken, dass sie die Situation im Griff hätten und um Legitimationsverlusten vorzubeugen. Aber sie werden keine wirkliche Strategie entwickeln.

Diese Strategie würde strukturelle Eingriffe in das Weltsystem voraussetzen, die weit über das hinausgehen, was die herrschenden Eliten und die Entscheidungszentren aktuell zu tun bereit sind. Deswegen noch einmal mein Rekurs auf die Notwendigkeit einer neuen weltweiten sozialen Initiative von unten, in deren Kern die Gesundheitsarbeiterin und -arbeite, aber auch eine Verbreiterung des Blicks stehen sollten, sodass beispielsweise die jungen Leute von Friday for Future verstehen, dass die Pandemiefrage etwas mit ihrem Kampf gegen die Klimakatastrophe zu tun hat. Sonst fährt das Ganze ziemlich an die Wand.

„Die Systemfrage hat sich schon längst gestellt und diese Pandemie bringt sie noch einmal auf die Tagesordnung“

Würden Sie denn sagen, dass, ganz allgemein gesagt, die Linke etwas verstanden hat?

Karl Heinz Roth: Es gibt einen kleinen Teil der Linken, der sich in der Konfrontation mit der Pandemie im Frühjahr 2020 zunächst einmal klar darüber wurde, dass es eine völlig neue Situation ist, die man untersuchen muss. Es gab aber auch unglaublich schnelle Reaktionen. Einmal in Richtung Verschärfung der autoritären Maßnahmen, also Zero-Covid und so weiter, die völlig illusionär waren. Und auf der anderen Seite ein Abrutschen in irrationale Positionen, so als ob diese Pandemie wirklich harmlos oder noch harmloser als eine Influenza-Pandemie wäre.

Die Linke hat sich an diesem Problem vollkommen polarisiert und ich sehe es als unsere Aufgabe an, durch eine kritische Analyse einen dritten Weg zu entwickeln, ein Aktionsprogramm aufzustellen, in dem die Konsequenzen aus dieser Pandemie gezogen werden, und so viel Druck zu mobilisieren, dass die Akteure, die für dieses Desaster verantwortlich waren, gezwungen werden, ihre Verteidigungsstrategie aufzugeben. Also zu sagen: Ja, es war alles so furchtbar übereilt, wir mussten agieren und so weiter, aber gleichzeitig damit ihren Unwillen zu verschleiern, sich tatsächlich den Konsequenzen zu stellen. Das sehe ich als unsere Aufgabe an.

Klaus Schwab vom Weltwirtschaftsforum wollte die Pandemie auch ausnutzen. Es gab ein Buch und eine Tagung, um darauf hinzuweisen, dass es nun eine Chance gebe, die Wirtschaft zu verändern, sie etwas gerechter, sozialer zu machen, aber im Grunde genommen das System zu erhalten. Es soll ein bisschen humaner werden, aber es darf alles so weitergehen. Ist es denn überhaupt innerhalb des kapitalistischen Systems möglich, tiefgreifende Veränderungen einzuleiten, die von der Gesundheit über die Umwelt bis hin zum Klima und natürlich zu sozialen Themen reichen? Müsste dazu nicht eine soziale Bewegung entstehen?

Karl Heinz Roth: Sie haben das Great Reset des World Economic Forum thematisiert. Damit habe ich mich ziemlich genau beschäftigt. Das ist ein Versuch, ein paar kleine Schritte nach vorne zu gehen, mehr Sozialpartnerschaft und so weiter, aber die wesentlichen Strukturen zu erhalten. Das ist eine Rettungsstrategie von Klaus Schwab. Die Leute sind natürlich nicht dumm und sie wissen, wenn es nicht gelingt, die weitere Entwicklung irgendwie unter Kontrolle zu bringen, dann stellt sich die Systemfrage. Ich bin der Überzeugung, dass sie sich schon längst gestellt hat und dass diese Pandemie sie noch einmal auf die Tagesordnung bringt.

Wir sollten aber als Linke Abstand nehmen von alten Schemata wie etwa der Hoffnung oder der Utopie eines revolutionären Umsturzes, der dann innerhalb kürzester Zeit eine neue Welt hervorbringt. Es geht darum, sehr konsequente, massive, radikale Reformen in diesen Bereichen zu entwickeln, sie populär zu machen, aus diesen sozialen Initiativen eine Massenbewegung zu starten und dann tatsächlich einen qualitativen Umschlag zu erreichen, der dann revolutionär ist. Wir sollten also das Verhältnis von Revolution und Reform neu diskutieren und das als eine Einheit ansehen. Ohne das eine wird das andere nicht kommen.

Es ist ja nicht die erste Pandemie, die ich miterlebt habe. Ich habe auch die heraufziehende AIDS-Pandemie  als Arzt und sozusagen als unerwarteter Frontmann miterlebt. Diese Pandemie zeigt noch einmal, dass es dringend notwendig ist, sich die Systemfrage neu zu stellen, aber nicht wie mit der Zero-Covid-Strategie, die sagt:  Wir müssen jetzt alles total herunterfahren und fangen dann nach sechs bis acht Wochen mit der Umstrukturierung des Gesundheitswesens an. Das ist völlig illusionär. Diese Pandemie kann nicht durch Stilllegung in sechs bis acht Wochen beseitigt werden.

Es geht darum, eine kritische, materialistische Analyse in einem multidisziplinären Kontext aller Aspekte von der Medizin über die Politik bis hin zu sozialen Prozessen und zur Ökonomie zu bündeln und eine neue Programmatik zu entwickeln, die dann unmittelbar in ersten Ansätzen im Gesundheitswesen, im Alten- und Pflegebereich und im Krankenhauswesen aktionsfähig wird.  Das ist eine gigantische Aufgabe, aber ich glaube, dass wir keine andere Alternative haben. Alles andere würde zu wirklich sehr, sehr gravierenden Folgen führen. Und mir wäre Angst und Bange um meine Nichten und Neffen, wenn ein solcher Prozess nicht in Gang kommt.


Karl Heinz Roth ist diese Woche auf Lesereise:

22.03.2022

Karl Heinz Roth – Blinde Passagiere
18:30 Uhr Fürstenberghaus, Hörsaal F2
Domplatz 20-22
Münster

23.03.2022

Karl Heinz Roth – Blinde Passagiere
19:00 Uhr, Die Börse Kommunikationszentrum Wuppertal
Wolkenburg 100
Wuppertal

24.03.2022

Karl Heinz Roth – Blinde Passagiere
19:00 Uhr Cafe Luitpold
Brienner Strasse 1
München

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4 Kommentare

  1. Generell: Markt ist die Negation von Vorsorge.

    „Einmal in Richtung Verschärfung der autoritären Maßnahmen, also Zero-Covid und so weiter, die völlig illusionär waren. (…) Einmal in Richtung Verschärfung der autoritären Maßnahmen, also Zero-Covid und so weiter, die völlig illusionär waren.“
    Nein. Zero-Covid wäre möglich gewesen, das beweisen China und einige wenige andere Staaten. Aber nur zu Anfang, unter der im Kapitalismus illusionären Voraussetzung, dass der gesamte Globus koordiniert entsprechend reagiert hätte, etwa durch rigorose Einstellung von Flugverbindungen. Wenn aus einzelnen Clustern eine Pandemie geworden ist, ist der Kampf zugunsten des Virus entschieden. Die Anfangssituation muss man daher von der reifen Pandemie klar unterscheiden.

    Und zu den Impfungen – gegen die Wildvariante wirkten die entwickelten Impfstoffe weitgehend auch infektionsverhindernd. Nicht zu hundert Prozent, aber doch zu einem hohen Prozentsatz. Dieser hat mit jeder Mutation weiter abgenommen, so dass man nun wirklich davon sprechen kann, dass Impfung ’nur‘ gegen schweren Verlauf schützt. Was hier in den Frageformulierungen mehr oder weniger implizit heruntergespielt wird.
    Zu kritisieren ist vielmehr die kommerzielle Ausrichtung der Vakzine-Hersteller, die auf diversen Ebenen negative Folgen hat. Angeblich wäre es mit mRNA-Technologie möglich, in wenigen Wochen angepasste Vakzinvarianten zu entwickeln. Das wurde bisher nicht bewiesen. Obs am Claim selbst liegt oder an kommerziellen Interessen der Konzerne weiss ich nicht.

    Ja, es stellt sich die Systemfrage. Aber dieses System wird erst überwunden werden, wenn es im umfassenden Sinn dysfunktional geworden ist. Es ist auf dem Weg dazu.

  2. „Diese Strategie würde strukturelle Eingriffe in das Weltsystem voraussetzen, die weit über das hinausgehen, was die herrschenden Eliten und die Entscheidungszentren aktuell zu tun bereit sind.“

    Wird hier einer globalen Gesundheits-/Hygienediktatur das Wort geredet? Glaubt Herr Roth, den ich als Autor von früheren Artikeln durchaus schätze, dass es ausreiche, „das System“ zu ändern, auch noch mit Druck von sozialen Bewegungen und freundlicher Beratung einiger linker Intellektueller, aber bei Beibehaltung der alten Eliten, sprich Kapitalisten, Bill Gates und co., die dann Systemfunktionäre werden, und dann wendet sich alles zum Guten? Ich hoffe nicht, aber ich finde, man könnte ihn so missverstehen.

    Aus meiner Sicht hat das Virus und seine Bekämpfung nur insofern mit dem Kapitalismus zu tun, als es wahrscheinlich aus dem Labor kommt und genutzt wird, um Zugang zu den Körpern per halbjährlicher Impfung und Einführung einer globalen ID und darüber umfassende soziale Kontrolle und Aneignung der kompletten Daten einschliesslich Gensequenz ermöglicht werden soll. Widerstand gegen diese Entwicklung und ausserdem Kontrolle der Biolabore und Vernichtung der dort gezüchteten Krankheitserreger fehlt mir als Forderung der Linken.

    Klimaschutz, Tierschutz, Erhaltung des Regenwaldes sind alles gute und richtige Ziele, haben nur nichts mit Corona zu tun. Dass das Virus aus der Gain-of-Function-Forschung entwichen ist oder freigesetzt wurde, ist mathematisch einfach viel, viel wahrscheinlicher, als dass es per Mutation zufällig entstanden ist (auch noch in China, nahe dem Biolabor in Wuhan!). Fledermäuse gibt es überall, sie fliegen über Salatfeldern und Spielplätzen und lassen da vermutlich auch ab und zu etwas fallen. Sind wir deshalb ständig alle krank? Viren sind überall, auch in unseren Haustieren, und wenn sie ständig mutieren würden zu tödlichen Krankheitserregern, würde es uns gar nicht geben.

    Dass Gesundheitswesen und Pflegebereich dem privaten Gewinnstreben entzogen werden sollten, war auch schon vor Corona offensichtlich. Die aktuelle Corona-Überlastung hatte nicht zuletzt mit dem unnötigen Freihalten von Betten und ebenso übertriebenen Quarantäne-Regelungen für das Personal zu tun. Dazu maschinelle Beatmung als Behandlung, die sehr arbeitsintensiv ist (Intensivpflege), aber in vielen Fällen mehr schadet als nutzt.
    Und wenn man weltweit möglichst wirksam etwas für die Gesundheit der Menschen tun will, dann stehen Corona-Medikamente und -Impfstoffe wirklich nicht an vorderster Stelle.
    Ob zusätzliche Hygiene nötig ist, oder vielleicht sogar weniger, ist auch fraglich: https://www.srf.ch/news/schweiz/kein-einziger-todesfall-zuercher-drogensuechtige-sorgen-fuer-corona-ueberraschung

    Und was die Masken betrifft, so ist die Reproduktionszahl in der ersten Welle zumindest in der Schweiz auch ohne Masken gesunken. Und zwar schon vor Einführung des Lockdowns.
    https://infekt.ch/2020/04/sind-wir-tatsaechlich-im-blindflug/

    Das Virus ist zwar sehr ansteckend, aber nicht sehr tödlich. Einfache Massnahmen, wie die vorrübergehende Aussetzung von Grossverantaltungen und regelmässiges Händewaschen hätten ausgereicht. In den Altenheimen natürlich zusätzliche Massnahmen, aber ohne endlose Massnahmen, die die Gebrechlichkeit und damit das allgemeine Sterberisiko über alle Ursachen steigern, wie Besuchsverbote, Isolation, Aussetzen von sozialen und sportlichen Aktivitäten, hätten verhindert werden können und müssen, wenn nicht, ja wenn nicht die tonangebende „Linke“ alle Kritiker als Covidioten, Corona-Leugner, Verschwörungstheoretiker, Nazis, etc… verunglimpft hätte.

  3. Merkel hat vor 2 Jahren gesagt, daß die „Pandemie“ ihre politische Entscheidung ist.
    Und wer es bisher nicht verstanden hat, sollte begreifen, daß das Resultat der niedrigen Impfquoten der Beleg dafür ist !
    „Pandemie“ ist eine politische Definition, der Zweck dazu liegt darin, totalitäre Politik durchzusetzen gegen den geringstmöglichen Widerstand, weil eine Mehrheit durch diese Schock-Strategie ausgeschaltet wird.
    Neben dem originären Zweck, die mRNA-Experimente mit Probanten zu versorgen, gibt es vielerlei politischen Zielsetzungen auf den verschiedenen Ebenen – beginnend auf der unteren Ebene mit den klebrigen Fingern einiger Abgeordneter – schon vergessen ? – und darüber die verschiedenen politischen Zielöe wie EU-Schuldenunion – erinnern sie sich noch? – Totalüberwachung – Bargeldabschaffung, Zerstörung der Kleinunternehmen zugunsten multinationaler Konzerne (WEF) usw. usw.
    Die Liste der umgesetzten Projekte ist lang, sie können auf allen Ebenen Machtstrukturen sehen, die es ohne die „Pandemie“ nicht gegeben hätte.
    Und die „Pandemie“ kann jederzeit nach belieben gesteuert werden – sie testen mehr, die Labore erhöhen ihre Rotation – und schon gibt es wieder Ausgangs- und Kontaktsperren, um die sie jede Militärdiktatur beneidet !
    Und wem fällt es schon auf, daß Wissenschaftler mit anderer Meinung mundtot gemacht werden, von den asozialen Medien gesperrt und von der Justiz verfolgt werden – wenn die Medien dazu schweigen ?
    Wie selbst Drosten zu Beginn einmal sagte : ohne unsere Labore hätten wir nicht gemerkt, daß wir eine „Pandemie“ haben !

    Ganz einfach : sie war und ist politisch nützlich, und wurde deshalb politisch geschaffen !

    1. Volle Zustimmung, jedoch Ergänzung!

      Zentral ist die Frage, worum es den federführenden Interessengruppen in diesem Land bei der Pandemie ging und wie gefährlich, totalitär, menschenverachtend demnach der moderne Kapitalismus einzuschätzen und was künftig noch von ihm zu erwarten ist und wie „linke“ Politik dagegen aussehen müßte?
      Herr Roth hat hier drei entscheidende Antworten geliefert: Die Einsicht, dass der Mensch zum „Renditeobjekt“ wird (war dies nicht bereits der Arbeiter mit seiner Arbeitskraft?), die Aufforderung zum Neudenken von Reformen zur Systemtransformation und zur Entwicklung einer neuen sozialen Bewegung, in der die Verteidigung der gesundheitlichen Bedürfnisse der Menschen der Ausgangspunkt sein könnte.
      Die Kommentare von Pnyx, Spiky und zdago zeigen auf je eigene Weise was „links“, je nach Provenienz und Erfahrung heute impliziert:
      Pnyx, als Anhänger der Frankfurter Schule, die immer schon lieber von „Markt“ anstelle von „Profit“ sprach, sieht das Problem in der Delegation der Gesundheitsvorsorge an den „Markt“ und „kommerziell“ orientierte „Vakzine-Hersteller“, was natürlich i.H. auf die vermisste Vorsorge einen erheblichen Faux Pax darstellt! Seit wann ist ein Markt, den es, ursprünglich als Naturalienhandel, bereits seit etwa 10 000 Jahren gibt, eine „Negation von Vorsorge“? Vorsorge bedeutet meinem Verständnis nach zunächst einen Vorrat zu haben, dann, bezogen auf die Produktion, rechtzeitig damit zu beginnen und ausreichend viel zu produzieren! Jeder Marktteilnehmer kennt diese Anforderungen. Ganz anders verhält sich die Sachlage bei der Produktion eines Mehrprodukts zur privaten Aneignung: Wenn nicht genügend Profit gemacht werden kann, wird mit der Produktion erst gar nicht begonnen. Und wenn man dann z.B. aus einer Wasserversorgung Profit ziehen will, muß man entweder bei den Kosten sparen und Leitungen verlottern lassen und/oder die Preise erhöhen. Genau das Gleiche, was bei der Privatisierung der Altenheime und Krankenhäuser geschieht: Profit durch Einsparung von Kosten und Profit durch Verteuerung der Dienstleistung.
      Soweit zur völlig abwegigen Aussicht von Pnyx, dass „dieses Sytem ..erst überwunden werden ..wird, wenn es im umfassenden Sinn dysfunktional geworden ist“. Diese Ewigkeitsperspektive erinnert an die Vertröstung auf ein Jenseits, der auch Karl Marx sehr nahe gestanden ist – nur wollte er in der Arbeiterklasse unbedingt eine heilende Kraft im System selbst sehen um ein besseres Leben auch für die Masse der Menschen bereits im Diesseits zu erreichen.
      Jedoch hat sich die Arbeiterklasse mit der materiellen Verbesserung der Lebensverhältnisse, also ihrer Entwicklung zum perfekten Konsumenten kapitalistisch erzeugter Waren letztendlich zufrieden gegeben, auch wenn unser aller Naturgrundlage – die Biosphäre,, ein gemäßigtes Klima, saubere Umwelt einschließlich Trinkwasser, Luft usf. – immer mehr droht unter dem System aus grenzenloser Profitmacherei und Verbrauch zusammenzubrechen!
      Auch Spiky und zdago können diesen Widerspruch, diesen Konflikt zwischen steigendem materiellem Konsum und zunehmender substantieller Verschlechterung der Naturbedingungen nicht auflösen, da die Marxsche politische Ökonomie keine Problemsicht dafür hat, keinerlei Kategorie, keinerlei Stoffkreislauf usf., der den substantiellen Wert der Natur für das menschliche Leben hätte erfassen und gebührend berücksichten können. Das viel grundlegendere Verhältnis zwischen Mensch und Natur für das Wohl und Wehe der Menschen und ihr Überleben war der Grund für die Abstraktion vom Gebrauchswert. Und eine Analyse, die nur den Tauschwert beachtet, ist per se pro-kapitalistisch auch in der Negation des Widerspruchs zwischen Lohnarbeit und Kapital weil dabei nichts anderes herauskommen kann als ein materiell reichhaltigeres Leben, eine bessere Verteilung.
      Erschwerend kommt hinzu, dass Marx die Errungenschaften der Aufklärung völlig gering geschätzt und auf die „Machtergreifung des besitzenden Bürgertums“ reduziert hat!
      Auch wenn der Arbeiter nur seine Arbeitskraft hatte, wurde er in den Revolutionen des 19. Jahrhunderts dennoch auch aus den Feudalverhältnissen befreit! Zentraler Ansatz des Bürgertums, den Adel in die Schranken zu weisen, war die Berufung auf das „Lebensrecht eines Jeden“, auf das Naturrecht. Nur dadurch konnte die gottgegebene Ordnung zerstört und eine Freiheit im Diesseits begründet werden.
      Es gab während der Aufklärung alle Ansätze, um das Recht auf Gleichheit nicht auf eine Gleichheit vor dem Gesetz zu reduzieren, sondern als Gleichheit als Lebewesen, also als gleich bedürftiges Lebewesen und gleich mündiges Subjekt seines Geschickes zu konzipieren. Aber das Bürgertum hat sich mit seinem formalen Verständnis von Gleichheit durchgesetzt und schließlich die Aufklärung in allem verraten, was verraten werden konnte, insbesondere das gleiche Anrecht auf das Mehrprodukt der Produktion!
      Dass sich Marx auf das Eigentum konzentrierte war einer der größten Irrtümer der Geschichte, da es in allen Epochen bereits erwiesen war, dass Menschen nur dann wirklich Sorgfalt und Interesse entwickeln, wenn sie zu anvertrauten Dingen eine besondere wertschätzende Beziehung haben.
      Entscheidend für die industrielle Fehlentwicklung nach der Aufklärung war meiner Meinung nach die Zulassung der privaten Aneignung des Mehrprodukts durch die Veranstalter der Produktion und die damit programmierte Verdammung der Arbeiter zur ewigen Arbeit für andere, um sich den Lebensunterhalt zu „verdienen“. Auch wenn dadurch eine Eigentums-Bildung auf Seiten der Arbeiter verhindert wurde, war nicht das Eigentum daran schuld, sondern die private Aneignung des Mehrprodukts.
      D.h. auf deutsch: Eigentum ist erlaubt und sogar notwendig, aber Akkumulation infolge gewinn-orientierter Produktion und Aneignung des Mehrprodukts muss abgeschafft, herunterreguliert werden auf eine natur- und menschverträgliche Entwicklung, die Naturzerstörung ebenso verhindert wie die Menschen als Naturwesen und Subjekte ihrer politischen Verhältnisse.
      Was hat das mit der Pandemie zu tun?
      Als Determinanten des gesellschaftlichen Lebens haben wir heute eine völlig gefühllose, neurasthenische Staatsmaschine, die errichtet wurde, um das ewige Profitmachen zu ermöglichen, auf der einen Seite und eine völlig gefühllose, neurasthenischen Profitmacherei in allen Produktionsbereichen auf der anderen Seite. Beide Seiten verstehen sich aufgrund ihrer Gefühllosigkeit und gemeinsamen Interessen hervorragend.
      Beide Seiten suchen ständig nach neuen Profitmöglichkeiten, auch unter sozialdemokratischem Einfluss, um das System der ewigen Arbeit für den Lebensunterhalt, Wachstum usf. am Laufen zu halten und damit eine Erringung der Subjektpositiion durch die Menschen zu verhindern.
      Insofern hat zdago recht, wenn er schreibt, dass die Pandemie – wie Merkel sagte – politisch geschaffen wurde, weil sie politisch nützlich ist.
      Jedoch geht es heute noch um viel mehr:
      In Anbetracht der zusammenbrechenden Natursysteme geht es heute vor allem um eine Umstellung der Mensch-Natur auf eine industrielle Natur, so dass zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden – was im Industriesystem immer versucht wird: Verdrängung der natürlichen Eigenimmunität der Menschen die man gut durch gesunde Ernährung u.a. fördern könnte, durch die externe Ertüchtigung mit Chemie und Gentechnik, was ja auch in der Landwirtschaft schon längst gang und gäbe ist und nun verstärkt werden soll.
      In der Folge bekommen wir noch zerstörtere Ökosysteme und eine noch zerstörtere natürliche Immunität, jedoch einen riesigen Markt für profitable Ersatzprodukte. Kein normaler Mensch als Politiker würde eine solche Politik mitmachen. Dazu braucht es mehrfach Gehirngewaschene Parteipolitiker, die jeden Kontakt zur Partei- und Natur-Basis verloren haben oder noch nie hatten, wie fast alle derzeitigen Regierungsmitglieder.
      Auch die Genderdebatte und neue Flexibilität beim Geschlecht wird allein zu diesem Zweck der vollständige Entfremdung von der Naturgrundlage des Menschen und seiner selbst als lebendiges Naturwesen veranstaltet. Auch sie dient der Konstruktion des Menschen als Produkt allein der Gesellschaft und damit auch: als Produkt gewinnbringender Produktion.
      Es dürfte keinen falscheren Ausspruch von Marx gegeben haben als jenen, dass es sich beim Menschen um das „Ensemble gesellschaftlicher Verhältnisse“ handelt. Eine aus heutiger Sicht völlig irre Auffassung, die nur noch durch seinen Ausspruch von der „Befreiung des Subjekts aus allen Naturnotwendigkeiten .. im Reich der Freiheit“ getoppt wird. Das sind die kapitalistischen Illusionen von Bacon u.a. in einer unvorstellbaren Hybris, die wir heute bei den Transhumanisten sehen. Das ist eine vollständige Verkennung der Besonderheit des Menschen als vernünftiges Naturwesen!
      Eine nützliche Kategorie von Marx ist jene von der „reellen Subsumption“, die vermutlich viele Marxisten heute gar nicht mehr kennen.
      Was wir beim Übergang zur Industrialisierung des Zugriff auf die und die Verwertung der menschlichen Individuen als physiologische Ausbeutungsobjekte haben, erinnert nicht nur an die Experimente im 3.Reich, an Organhandel u.a.. Zusätzlich ist es Anpassung an ihre zerstörte Naturgrundlage. Denn die Industriegesellschaften sind aufgrund ihrer Profitorientierung und mit ihren neurasthenischen Staatsmaschinen völlig unfähig, diese Naturzerstörung und den Klimawandel aufzuhalten. Im Gegenteil vertiefen sie mit alternativen Energien die Naturzerstörung und alle Konferenzen und Instrumente haben nur den einen Zweck, die Menschen zu täuschen, was sie ja zunehmend, während der Pandemie, am eigenen Leib versprüren wenn der Genesenen status über Nacht gecancelt wird. (Alle drei Anläufe in der bisherigen Geschichte der Industrialisierung zur Umkehr zugunsten der Natur wurden in eine noch größere Aggression gegen sie umgebogen – das gleiche passiert derzeit mit den angeblichen Versuchen zur Erreichung von „Klimaneutralität“. Das ist nicht nur greenwashing, sondern eine historische völlig bewährte Methode, um das Profitmachen zu verteidigen, wobei natürlich die Ausblendung der notwendigen Komplexität der Problembetrachtung zentral ist: Indem z.B. die Rodung des Amazonasurwaldes für Soja für Deutschland hingenommen wird, während dem in Kenia eine Konferenz zum Erhalt der Biodiversität um jeden Euro Unterstützung kämpfen muß. Zentral natürlich auch die Rolle der Medien, die derzeit nicht einmal dazu bereit sind, den Stromverbrauch digitaler Technik zu thematisieren, die für Umweltprojekte eingesetzt werden soll oder die aus dem Hungergebiet in Kenia derzeit nach Europa exportierten Bohnen als besonders krassen menschenfeindlichen Fall von Amnesie grüner Politik zu outen.
      Es geht um transformierende Reformen, die von mündigen Menschen ausgehen – die Arbeiterklasse als Rahmen ist dabei bedeutungslos, wenn nicht gar ein Hindernis, wie ich im eigenen Kreis der Verwandten und Bekannten sehe: Widerstand ist eine Frage des Wissens und des Mutes zur Nicht-Konformität. Wer unter den Arbeitern verfügt über diese Voraussetzungen heute?
      Wenn wir nicht wirklich bei Orwells 1984 landen wollen, müssen sich die Menschen jetzt zu neuen sozialen Bewegungen insbesondere gegen die Entmündigung von ihrer natürlichen Basis als Lebewesen und von ihrer gesellschaftlichen Basis als Subjekte der Menschenrechte, organisieren und den tatsächlich skrupellosen Politikern in allen Fraktionen den Kampf ansagen.

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